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Kostenloser Nahverkehr: Warum das keine Spinnerei ist

Februar 26, 2018

Weil die Bundesregierung europäische Umweltschutzvorgaben nicht einhält, schlug sie als Ausweichmanöver die testweise Einführung eines kostenlosen Nahverkehrs vor. Richtig ernst nimmt das aber niemand. In Folge 8 erläutern Tanja und Vincent jedoch, warum fahrscheinloser ÖPNV wirklich eine gute Idee ist. Dafür besprechen sie nicht nur die Vorteile, sondern auch worauf es bei der Umsetzung ankommt und wie diese zu finanzieren ist. In der Zugabe erhaltet ihr Tipps, wie ihr im Großstadtjungle besser vorwärts kommt.


Dieser Artikel bietet nur eine Zusammenfassung. Die vollständigen Argumente hörst du in der Podcast-Folge: hier im Player oder direkt auf Spotify, iTunes, Deezer oder Stitcher.


Kostenloser Nahverkehr: Warum darüber reden?

Die Europäische Kommission droht, die deutsche Bundesregierung zu verklagen, wenn diese es nicht endlich schafft, für saubere Luft in deutschen Städten zu sorgen. Neben der Stärkung von E-Mobilität und Verkehrsregulierungen schlagen die Bundesministerien für Umwelt und Verkehr sowie das Bundeskanzleramt vor, den öffentlichen Nahverkehr kostenlos zu machen.

Die einfache Gleichung ist, dass weniger Schadstoffe ausgestoßen werden wenn mehr Menschen Busse und Bahnen statt dem Auto nehmen. Modellstädte sollen Essen, Bonn, Mannheim, Reutlingen und Herrenberg werden.

Ganz neu ist die Idee jedoch nicht: Die Piratenpartei hat schon vor Jahren für die “fahrscheinfreie Nutzung” des öffentliche Nahverkehrs geworben. Bislang wird diese innovative Idee leider nur von Kleinparteien vertreten. Warum eigentlich?

Ziele: Was kann der kostenlose Nahverkehr erreichen?

Hauptziel des kostenlosen Nahverkehrs ist es, dass viele Menschen ihr Auto stehen lassen und stattdessen Bus und Bahn nehmen. Dadurch würde der kostenlose ÖPNV die Umwelt und die Gesundheit der Menschen schützen und für mehr Lebensqualität sowie Gerechtigkeit sorgen.

Jährlich sterben in Deutschland rund 66.000 Menschen vorzeitig durch die hohe Feinstaubbelastung (EEA-Studie 2017). Davon möglicherweise 38.000 aufgrund des Betrugs der Automobilkonzerne. Ebenfalls krank macht Straßenlärm. Diese interaktive Karte von Berlin zeigt, dass an den größeren Straßen die Lärmbelastung bei über 70 Dezibel liegt – so laut wie ein permanent eingeschalteter Staubsauger.

Auch die Lebensqualität würde steigen: Weniger Autos bedeuten mehr Platz für Fahrrad- und Fußwege sowie Parks und Plätze.


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Ein weiteres, oft vernachlässigtes, Ziel in der Diskussion ist die soziale Gerechtigkeit. Denn solange der öffentliche Nahverkehr etwas kostet (und im internationalen Vergleich kostet er in Deutschlands Großstädten viel), stellt sich die Frage, wer sich Bus und Bahn leisten kann – und wer nicht. Ist es in Ordnung, dass sich beispielsweise Geringverdiener oder Menschen in Armut kein Ticket leisten können und in ihrer Mobilität eingeschränkt sind?

Die Stadt Tallin hat aus diesem Grund bereits 2013 die Nutzung des Nahverkehrs ohne Tickets möglich und viele Ärmere damit mobiler gemacht. Auch wenn in der Debatte die Menschen vom Land oft gegen die Städter ausgespielt werden, kann sich der kostenlose Nahverkehr auch für Dörfer lohnen. Dies zeigt das Beispiel von Templin in der Uckermark: Die Kleinstadt hat die Busse kostenlos gemacht, damit die Nachfrage vervielfacht und so das Verkehrsunternehmen zunächst vor der Schließung gerettet und später sogar ausgebaut (mittlerweile ist die Kommune auf eine 44 Euro-pro-Jahr-Flatrate umgestiegen).

Umsetzung: Wie kann der kostenlose Nahverkehr realisiert und finanziert werden?

Sind die Öffis zu stressig, nehmen die meisten doch lieber das Auto. Daher muss die Infrastruktur ausgebaut werden:

  • der ÖPNV muss zuverlässig laufen,
  • man sollte Haltestellen bequem erreichen können,
  • die Taktung muss hoch sein, damit man schnell ankommt.

Nur wenn der ÖPNV auch bei steigenden Fahrgastzahlen reibungslos läuft, kann kostenloser Nahverkehr zum Erfolg werden.

Die kontroverseste Frage ist jedoch: Wie kann das ticketlose Fahren überhaupt bezahlt werden? Bisher wird der Nahverkehr zum Teil aus Fahrkartenerlösen finanziert. Je größer die Kommune, desto größer der Anteil der Fahrkartenverkäufe an den Einnahmen. Umgekehrt finanzieren kleine Kommunen schon heute ihren öffentlichen Nahverkehr fast vollständig aus öffentlichen Mitteln. Deutschlandweit betrachtet beträgt der Fahrkartenerlös ungefähr ein Drittel an den Gesamtmitteln.

Dieser Anteil müsste von staatlicher Seite übernommen werden. Gleichzeitig fallen jedoch auch Ausgaben weg, wie die Bezahlung der Kontrolleure und Pflege der Automaten sowie die über 60.000 Strafverfahren und Gefängnisaufenthalte wegen Schwarzfahrens.

Einbeziehen sollte man auch die gesamtgesellschaftlichen Kosten: Wie teuer sind Unfälle mit Autos? Die Folgekosten von Krankheiten wegen Lärm und schlechter Luft? Wenn man diese Kosten mit einbezieht, ist der Autoverkehr für Kommunen dreimal so teuer wie der öffentliche Nahverkehr.

Deine Meinung

Sollte der öffentliche Nahverkehr kostenlos sein?

Zugabe: Tipps und Tricks für den Nahverkehr

ÖPNV-Hacks:

  • Zu ungewöhnlichen Zeiten ins Büro fahren, zum Beispiel um 09:15 statt 9:00 Uhr, und dabei leere Bahnen genießen
  • Alternativen suchen und z.B. mit der Regionalbahn statt der S-Bahn fahren oder stressiges Umsteigen vermeiden.
  • Den letzten Abschnitt der Verbindung zu Fuß gehen, dabei Luft und Sonne tanken und damit entspannter ankommen.

App-Vergleich:

ÖPNV selbst besser planen:

 

Show Notes

    • 01:25

      Das Phänomen: Kostenloser Nahverkehr

    • 06:46

      Perspektive 1: Ziele des kostenlosen ÖPNV

    • 21:20

      Perspektive 2: Umsetzung des kostenlosen ÖPNV

    • 38:58

      Das Zwischenfazit

    • 40:53

      Eure Meinung 1: Abstimmung

    • 42:00

      Zugabe: ÖPNV-Hacks und ÖPNV-Spiele

    • 46:34

      Eure Meinung 2: Rückmeldung und Ergebnisse

     

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6 comments

  1. Sven sagt:

    Die VBB Bus und Bahn App bietet übrigens auch die Möglichkeit eine Fahrkarte mobil zu kaufen. Hierzu muss nur ein Account angelegt werden oder die Kreditkarte wird zum kaufen genutzt. Das nur als kleine Ergänzung zu der Bus und Bahn App 😉

    1. Vincent Venus sagt:

      Hallo Sven,
      Danke für die Ergänzung!

      Und für alle, die dies lesen und sie haben wollen: hier kann man sie herunterladen.

  2. Maike Seewald sagt:

    Die V-Partei hat dazu auch schon was im Parteiprogramm. 🙂 https://v-partei.de/vparteihoch3/parteiprogramm/

    1. Vincent Venus sagt:

      Danke für den Hinweis!

  3. Kamikaze sagt:

    Hier noch ein wichtiges Argument welches für den Ausbau des öffentlichen Verkehr spricht: Bleibt es bei dem starken Zuzug in die Städte werden wir mit dem bisherigen System schließlich an unsere Grenzen kommen. Zukunfsorientiert wäre auf jeden Fall ein gut ausgebauter Nahverkehr. Schließlich verlieren wir mit Parkhäusern, Autostraßen auch wertvollen Wohnraum. Schon jetzt gibt es zu wenig Parkplätze für die vielen Autos. Städteplaner plädieren sogar jetzt schon dafür mehr auf öffentlichen Verkehr zu setzen.

    1. Vincent Venus sagt:

      Absolut!

      Und es gibt gute Neuigkeiten! Einige deutsche Städte überlegen nun, sich an Wien zu orientieren, und eine Jahreskarte für 365 Euro anzubieten (also 1 Euro pro Tag). Fände ich deutlich erschwinglicher als die 720 Euro der BVG in Berlin 😉

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