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Cyborgs: Warum wir längst Maschinenmenschen sind

Juni 04, 2018

Ein Cyborg (cybernetic organism) ist ein biologisches Wesen, dass durch technologische Erweiterungen übernatürliche Fähigkeiten erlangt. Was klingt wie Science Fiction ist teilweise schon Realität. In naher Zukunft wird der Mensch immer mehr mit der Technik verschmelzen. In den zwei Perspektiven dieser Folge gucken wir uns diese Entwicklung genauer an und fragen uns erstens “Wo stehen wir heute?” und zweitens “Was ist in Zukunft denkbar?” Eines ist klar: Die Entwicklung zum Cyborg stellt die Politik vor viele Herausforderungen.

Cyborgs: Menschen mit viel Technik?

Im Grunde haben Menschen schon immer Werkzeuge gebaut und verwendet, die es ihnen ermöglichte, Dinge zu tun, die sonst aus allein menschlicher Kraft nicht geschafft hätten. Der Unterschied zu früher und heute ist jedoch die Art und Intensität, wie wir Technik nutzen. Der Cyborg e.V. definiert einen Cyborg als “sehr tiefe Verschmelzung von Biologie und Technologie. […] Die technologische Erweiterung kann implantiert sein, muss aber nicht – sie kann auch über einen intensiven Gebrauch externer Devices geschehen”.

Ein Smartphone nutze ich anders als einen Küchenmixer. Das Smartphone ist ein Teil der Menschen geworden. Wir tragen es immer bei uns, wir können jederzeit auf das gesamte Wissen im Internet zugreifen, Gespräche mit jeder Person auf der anderen Seite der Welt führen und alles mögliche tracken. Wenn wir das Smartphone Zuhause vergessen, ist das ein sehr unwohles Gefühl, weil es eben nicht mehr nur ein nettes Werkzeug ist, sondern ein Teil von uns. Die Funktionen eines Smartphones haben wir jedoch (noch) nicht in unseren Körpern implantiert. Wir können es theoretisch jederzeit weglegen – aber macht das wirklich einen Unterschied?

Trotzdem scheint die Haut eine besondere Grenze für Menschen darzustellen. Ein Smartphone legen wir Abends neben uns auf die Matratze, um unseren Schlaf zu tracken. Uns einen Chip einpflanzen zu lassen, der das gleiche tut, kommt uns jedoch komisch vor. Eine weitere Grenze, die oft Unbehagen bereitet, ist wenn Biologie und Technologie verschmelzen, um einen gesunden Menschen zu optimieren. Wenn jedoch Technologie in Körper eingepflanzt wird, um Krankheiten zu heilen, z.B. bei Herzschrittmachern, sehen wir kein Problem damit, Cyborgs zu kreieren. Die Grenze bis wann man noch ein Mensch ist und ab wann man von einem Cyborg sprechen kann, kann nicht genau gezogen werden.


Dieser Artikel bietet nur eine Zusammenfassung. Die vollständigen Argumente hörst du in der Podcast-Folge: hier im Player oder direkt auf Spotify, iTunes, Google Podcast, Deezer und Stitcher.


Wie weit sind wir in Sachen Cyborg schon heute?

Die wichtigste Erkenntnis zu Beginn: Wir sind schon weiter als die meisten denken. Es gibt bereits heute Cyborgs – und sogar eine vorläufige Allgemeine Erklärung der Cyborgrechte. Trotzdem steht die Debatte zu dem Thema noch ganz am Anfang. Drei politische Thesen der Cyborgisierung haben wir versucht, aufzustellen:

Die Grenze zwischen Medizin und Optimierung verschwimmt immer mehr. Es gibt bereits technisch hochentwickelte Beinprothesen wie sie durch den Läufer Oscar Pistorius berühmt geworden sind. Weniger bekannt sind Hilfsmittel für das Gehirn. Es gibt bereits heute Hirnschrittmacher, die durch elektrische Impulse Hirnareale stimulieren und bei Parkinson helfen. Oder DARPA-Prothese, bei der gelähmte Menschen allein mit Gedankenkraft einen metallischen Arm bewegen können. Auch Exoskelette sind relativ weit entwickelt. Und es gibt sogar einen Prototypen für zwei weitere Arme. Dass diese Entwicklungen demnächst nicht mehr nur auf medizinische Fälle angewendet werden, sondern auch gesunde Menschen sich optimieren lassen, ist sehr wahrscheinlich.

Für Bequemlichkeit geben wir Datenschutz auf. Sobald Technologien miteinander vernetzt sind, besteht die Gefahr der Überwachung. In Schweden kann man bereits mit seiner Hand in der Bahn bezahlen, wenn man sich einen Chip eingepflanzt hat und als Arbeitnehmer des Start-Ups Epicenter kann man Türen damit aufschließen. Gerade im Arbeitskontext schafft das die Möglichkeit, nicht nur zu überwachen, wer wann welche Tür aufgeschlossen hat, sondern auch Toilettengänge, Arbeitsantritte und Bewegungsprofile.

Die Wohlhabenden hängen die Armen weiter ab. Es ist heute schon so, dass man sich mit Geld einen Lebensstil leisten kann, der einen produktiver und erfolgreicher macht, z.B. durch Nachhilfelehrer, Fitnesstrainer oder Wohnungen in ruhigeren Gegenden. Neue Entwicklungen wie das Stirnband “Dreem”, das den Schlaf effizienter und erholsamer macht, sind teuer. Wenn derartige Geräte weiterhin teuer bleiben, dann werden nur die Wohlhabenden sie kaufen können und noch produktiver werden, während ärmere Menschen außen vor bleiben.

Was erwartet uns in Sachen Cyborg in der Zukunft?

Einen großen Schritt weiter in der Entwicklung Richtung Cyborgs wäre möglich mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle, die durch Elektroden im Gehirn möglich gemacht wird. Das würde bedeuten, dass wir mit Computern direkt über unsere Gedanken kommunizieren können, ohne wie bisher unsere Gedanken erst in Worte fassen zu müssen, um diese dann in Sprache zu verwandeln (wie z.B. bei der Eingabe einer Google-Suche). Der große Vorteil wäre, dass Kommunikation sehr viel schneller wäre.

Elon Musk hat für die Entwicklung einer solchen Gehirn-Computer-Schnittstelle im Juli 2016 das Start-Up “Neuralink” gegründet. Nach der These von Elon Musk ist es notwendig für die Menschen so schnell wie möglich eine solche Schnittstelle zu entwickeln, damit wir eine Chance haben, mit einer künstlichen Intelligenz in Zukunft mitzuhalten. Nach seiner Einschätzung kann bereits in 8 bis 10 Jahren die Schnittstellentechnologie auch bei Menschen verwendet werden, bei denen es keinen medizinischen Bedarf gibt.

Müssen sich Menschen zu #Cyborgs entwickeln, um es mit künstlicher Intelligenz aufnehmen zu können? Klick um zu Tweeten

Der Prozess bis dahin wird unbemerkt ablaufen. Es wird keinen Tag X geben an dem allen Menschen Chips eingepflanzt werden, sondern ganz nebenbei wird die Technologie in unserem Alltag ankommen. So wie viele Funktionen beim Smartphones nach und nach eingeführt wurden, werden wir auch bei der Cyborgisierung die Geschwindigkeit und Konsequenzen nur schwer absehen können.

Wird erst einmal die direkte Kommunikation von Gehirn zu Computer möglich sein, dann ist der Weg zur direkten Kommunikation von Gehirn zu Gehirn nicht mehr weit. Dann müssten wir unsere Gefühle nicht mehr in Worte fassen, um sie unserem Gegenüber mitzuteilen, sonder die andere Person könnte direkt erfahren, wie sich die andere Person fühlt. Eine weitere Option könnte sein, dass Daten von Computern in das Gehirn geladen werden und wir direkten Zugriff auf das gesamte Wissen im Internet bekommen.

Alle angerissenen möglichen Zukunftsszenarien schaffen politische Fragen, auf die es kaum Antworten gibt:

  • Wie ist Identität und Individualität noch möglich, wenn Daten ins Gehirn geladen werden?
  • Wer legt fest, was relevantes Wissen und Erfahrungen sind?
  • Inwiefern ist eine Überwachung der Gedanken damit möglich?
  • Wie wird mit Verantwortung und Selbstbestimmtheit umgegangen?
  • Wer hat die Macht über die Technologie und welche Interessen werden damit verfolgt?

 

Weiterführende Literatur:

 

Zugabe:

 

Show Notes

  • 01:32

    Das Phänomen: Was ist ein Cyborg?

  • 09:17

    Perspektive 1: Wie weit sind wir in Sachen Cyborg schon heute?

  • 23:30

    Perspektive 2: Was erwartet uns in Sachen Cyborg in der Zukunft?

  • 41:47

    Das Zwischenfazit

  • 43:20

    Zugabe: “Homo Deus” und “Deus Ex: Mankind Divided”

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