5 Sterne, ein Herz oder ein Like. Wir bewerten Restaurants auf yelp, Ärzte auf jameda, Arbeitgeber auf kununu und Taxifahrer auf uber. Und auch wir selbst sind es schon gewohnt, von Fremden und FreundInnen bewertet zu werden. Auf Instagram hoffen wir auf möglichst viele Likes für unser hübsch angerichtetes Essen und auf Twitter viele Herzen für den pointierten politischn Tweet.
Diese Logik hat Auswirkungen auf unsere Selbstdarstellung und mentale Gesundheit. Die digitalen Ratingmöglichkeiten in den falschen Händen oder als Praxis des Regierens könnten noch stärker in unserer Leben eingreifen. In China ab 2020 ein Social Credit-System eingeführt und lässt erahnen, wohin diese Bewertungsgesellschaft führen kann. Doch auch in Deutschland gibt es mit der Schufa ein System, das das Verhalten fast aller BürgerInnen erfasst – und Entscheidungen über unser Leben fällt. Sind wir vielleicht unbemerkt auf dem Weg in eine Bewertungsdiktatur?
In Folge 39 versuchen wir Lösungen gegen den Bewertungswahnsinn zu finden. Wir diskutieren unter anderem, ob ein Boykott hilfreicher ist oder nur noch ein europäisches Verbot uns davor bewahren kann.
Dieser Artikel bietet nur eine Zusammenfassung. Die vollständigen Argumente hörst du in der Podcast-Folge: hier im Player oder direkt auf Spotify, Apple Podcast, Google Podcast, Audio Now, Deezer und Stitcher.
Was ist das Problem mit den Bewertungen?
Die ständige Bewertung auf sozialen Medien oder Dienstleistungsplattformen kommt uns mittlerweile ganz normal vor. Wir merken dabei gar nicht, wie es das Zusammenleben und unser eigenes Handel verändert. Zum Beispiel wenn Leute besondere Orte nicht mehr aufsuchen, um diese mit eigenen Augen zu sehen oder zu genießen, sondern nur um mit den Fotos von dort die eigenen Follower zu beeindrucken. Wenn von dem Rating nicht nur das Selbstwertgefühl abhängt, sondern sogar der eigene Job, dann konzentrieren wir uns immer mehr auf Verhaltensweisen und Tätigkeiten mit der gewünschten Außenwirkung.
Authentizität, Ehrlichkeit und Offenheit für Neues drohen in dieser Gesellschaft als positive Eigenschaften verloren zu gehen. In der Black Mirror Folge “Nosedive” von Netflix wird gezeigt, wie eine durchbewertete Gesellschaft aussehen könnte.
Chinas Social Credit-System kommt 2020
Eine neue Dimension bekommt die Bewertungskultur, wenn der Staat die Likes (und Dislikes) verteilt. In China wird derzeit ein Social Scoring-System ausprobiert, das 2020 im gesamten Land eingeführt werden soll. Die Regierung verspricht sich davon ein steigendes gesellschaftliches Vertrauen und die Bekämpfung von Problemen wie Korruption. Ein schlechtes Rating hat jedoch auch handfeste Konsequenzen für die chinesischen BürgerInnen. Der Score kann darüber entscheiden, welche Wohnung sie bekommen oder wohin sie reisen dürfen. Trotzdem finden 81 Prozent der Chinesen ein Social Credit-System gut.
Schufa: Überwachung made in Germany
Was das mit uns in Deutschland zu tun hat? Auch hier wären bereits 2 von 5 Deutschen bereit, das Verhalten ihrer Mitmenschen online zu bewerten. Undenkbar wäre ein staatliches oder privates Bewertungssystem also nicht – und tatsächlich gibt es bereits eines, das Euer Leben beeinflusst.
Die Kreditauskunft Schufa bewertet die Kreditwürdigkeit von 68 Millionen Menschen und von 6 Millionen Unternehmen in Deutschland. Ihr Rating kann entscheiden, ob Du einen Mietvertrag bekommst, einen Handyvertrag abschließen oder ein Bankkonto eröffnen darfst.
Besonders problematisch ist, dass die Organisation intransparent arbeitet und sich manchmal auch irrt, wie Jan Böhmermann in einem Video gezeigt hat.
Wie kann der Bewertungswahn gestoppt werden?
Jeder und jede Einzelne sowie politische Institutionen können zu einer Welt beitragen, in der nicht das Rating die eigene Zukunft bestimmt. Fünf Ansätze aus der Folge:
Bildung und Wissen
Wir müssen die Auswirkungen von Bewertungen im Netz verstehen, um die Gefahren frühzeitig zu erkennen und nicht wie ein Frosch im heißer werdenden Wasser daran zu Grunde zu gehen.
Widerstand in Form von Verweigerung
Keine Likes mehr verteilen, keine Smileys auf der öffentliche Toilette drücken oder Fragebögen ausfüllen. Je weniger Menschen bei der Bewertung mitmachen, desto wertloser die Information.
Eine Bewegung für gesellschaftlichen Wandel
Eine bekannte Bewegung schafft Vorbilder und prägt die Kultur – so wie aktuell Fridays for Future beim Thema Klima- und Umweltschutz. Ähnlich könnte man mit Data-Privacy Positivity digitale Privatsphäre zu einem coolen Thema machen und mit Score-Shaming Menschen für die Auswirkungen ihrer Bewertungen im Netz sensibilisieren.
Wirtschaftliche Nachteile für Unternehmen
Ohne die akzeptierte Bewertungskultur im Netz und Menschen, die dabei mitmachen, würden sich diese Geschäftsmodelle für die Unternehmen nicht mehr lohnen. Instagram schafft bald die Likes unter den Bildern ab und vielleicht ziehen ja bald weitere Plattformen nach.
Europäisches Verbot
Wird die Linie überschritten, dass eine App oder Plattform nur dafür da ist, einzelne Menschen zu bewerten – unabhängig von ihrer Arbeit – sollte diese Plattform verboten werden.
Zugabe: Kostenlose Schufa-Auskunft und die Gesellschaft für Freiheitsrechte
Schufa
Wenn ihr wissen wollt, was Euer Schufa-Rating schaden könnte, dann besucht diesen Artikel mit Tipps.
Außerdem hier der Link, mit dem ihr einmal im Jahr euer Schufa-Rating kostenlos zugeschickt bekommt. Die Schufa muss Euch nämlich seit einiger Zeit eine gratis Datenkopie zuschicken (sie hat den Link auf ihrer Webseite aber sehr gut versteckt).
Wer sich engagieren will
Wem es auch so graust vor der Dystopie eines Scoring-Systems, könnte die Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützen. Die Organisation ist die unabhängige Hüterin des Grundgesetzes und klagt regelmäßig, wenn der Staat Grundrechte missachtet.