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Die Macht der Zahlen in der Politik

Mai 18, 2020

Welche Macht haben Zahlen in der Politik? Wir zeigen, dass Statistiken oft nicht objektiv sind, in die Irre führen und sogar Menschenleben kosten können. Dafür nehmen wir in Folge 47 das berühmte Bruttoinlandsprodukt auseinander und legen dar, wie die Hälfte der Bevölkerung in vielen Statistiken ignoriert wird. In der Zugabe belegen wir anhand unserer eigenen Podcast-Statistiken, dass selbst eindeutige Zahlen Interpretationsspielräume lassen.


Dieser Artikel bietet nur eine Zusammenfassung. Die vollständigen Argumente hörst du in der Podcast-Folge: hier im Player oder direkt auf Spotify, Apple Podcast, Google Podcast, Audio Now, Deezer und Stitcher.


Problem: Zahlen sind nicht objektiv, neutral oder unmissverständlich

Zahlen scheinen objektiv und neutral, das sind sie aber nicht. Vielmehr sind sie interpretationswürdig, abhängig vom Kontext und nicht wert- oder ideologiefrei. Dies ist vor allem bei Zahlen der Fall, die in der  Politik verwendet werden. Denn diese beruhen meistens auf einer Berechnung, die wiederum bestimmte Annahmen über die Welt trifft, ungenau sein kann und dadurch niemals wert- oder ideologiefrei ist.

Mit Zahlen wird versucht, die Realität in einen Wert zu pressen. Dadurch kann sie immer nur einen Teilausschnitt unserer Welt beschreiben und niemals ein umfassendes Bild darstellen. Das Zählbare steht im Vordergrund und schwierig Zählbares wird ignoriert. Allein aus diesem Grund sollten Zahlen allein nie eine ausreichende Grundlage für politische Entscheidungen sein.

In Debatten werden Zahlen gerne als Argumente eingebracht. Zum einen scheinen sie Orientierung zu bieten in einer großen, komplexen und unübersichtlichen Welt. Zum anderen vermitteln sie Kompetenz und Sicherheit. Eine Statistik ist auch gerne mal ein “Totschlagargument”, das nicht weiter erklärt werden muss. Eine Zahl kann selten schnell überprüft werden und steht so oft für sich. Deshalb ist es umso wichtiger, kritisch mit ihnen umzugehen –  insbesondere jetzt, wo durch die Corona-Pandemie ein großes Verlangen nach eindeutigen Zahlen in der Politik gibt. 

Dabei kann es diese Eindeutigkeit noch gar nicht geben, denn die Wissenschaft ist noch mitten dabei, das Virus und seine Ausbreitung zu untersuchen. Aktuell ist der Reproduktionsfaktor (Mai 2020) die wichtigste Zahl. Sie entscheidet darüber, ob Grenzen geschlossen werden, wen wir sehen dürfen und ob die Schulen öffnen. Im März  hingegen wurde vor allem noch über die Verdopplungszeit geredet.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Corona-Zahlen von verschiedenen Ländern oftmals nicht miteinander vergleichbar sind. Ja, die Zahlen können verwirrend sein und sie werden es auch erstmal bleiben, solange wir noch mittendrin in der Entwicklung sind. Die Politik und die Gesellschaft müssen lernen mit unsicheren Zahlen umzugehen.

Eine Alternative zum Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Die wohl mächtigste politische Zahl hat erst vor wenigen Tagen wieder für einige Schlagzeilen gesorgt: Das Bruttoinlandsprodukt ist im ersten Quartal 2020 um 2,2 Prozent gesunken aufgrund der Corona-Pandemie. Die Regierung denkt nun an Milliardeninvestitionen, um das Wachstum wieder anzukurbeln. Das BIP ist die eine Zahl, die ausreicht, damit alle scheinbar wissen, was die neueste WIrtschaftsentwicklung bedeutet und wie jetzt gehandelt werden muss. 

Um die Wirkmächtigkeit und die Grenzen ihrer Aussagekraft zu verstehen, müssen wir uns die Definition und Geschichte des Bruttoinlandsprodukts anschauen: Das BIP ist eine konstruierte Zahl und das Ergebnis von Entscheidungen und Berechnungen. Sie erfasst den Wert der im Inland erwirtschafteten Leistungen einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Das BIP ist also die Summer der produzierten Güter und Dienstleistungen, die jeweils mit einem Geldwert versehen wurden.

Auch wenn die Zahl für uns nicht mehr weg zu denken ist, ganz so lange gibt es das BIP noch nicht. Es wurde im zweiten Weltkrieg und in den USA populär, um die auf Krieg  umgestellte Wirtschaft steuern zu können.

Es gibt einiges an Kritik am BIP auszusetzen:

  • sollte sich die Politik derart auf den Wert des Wirtschaftswachstums konzentrieren? Oder gäbe es nicht andere Angaben, die ebenfalls wichtig sind?
  • warum werden nur jene Waren und Dienstleistungen eingerechnet, die auf dem Markt gehandelt werden könnten? Häusliche Pflegearbeit wird beispielsweise außen vor gelassen.
  • warum ignoriert das BIP Umweltzerstörungen?
  • ist das BIP wirklich eine aussagekräftige Zahl zum Wohlergehen der Bevölkerung? So steigt das BIP nach Naturkatastrophen stark an, weil die zerstörten Städte wieder aufgebaut werden müssen – den BewohnerInnen geht es jedoch zweifelsfrei schlechter als vorher.
  • Auch sagt das BIP nichts aus über die Verteilung des Wohlstands innerhalb einer Bevölkerung aus.

Eine goldene Zahl, die all dies erfasst, wird es nicht geben, aber mit alternativen Indikatoren kann man sich dem Wohlstand von Gesellschaften besser annähern und verdeutlichen, wie beschränkt unsere Perspektive mit dem BIP als Indikator ist.

Alternative Indikatoren zum BIP könnten:

  • weitere wirtschaftliche Messgrößen mit einbeziehen und somit beispielsweise Nachhaltigkeit mit erfassen,
  • zu den wirtschaftlichen auch andere Faktoren dazurechnen und somit beispielsweise ökologische Aspekte abdecken,
  • wirtschaftliche Messgrößen verbinden mit subjektiven Messgrößen. Also z.B. Güterproduktion mit Umfragen zu Wohlbefinden und Glück der Menschen

Umgesetzt wurden einige dieser Verbesserungen im Better Life Index der OECD. Für diesen Index werden verschiedene “harte” und “weiche” Faktoren gewichtet zusammengefasst. Im Ranking der (wirtschaftlich starken) 37 OECD-Staaten landet Deutschland dabei auf Platz 15. Ein weiterer Vorteil des Better Life Index ist, dass man ihn auf der Webseite selbst nach den eigenen Prioritäten gewichten kann. Wie aber bei allen politischen Zahlen kann man aber auch am Better Life Index Kritik üben.

Hauptquelle: “Die Macht der einen Zahl”. Eine politische Geschichte des Bruttoinlandsprodukts vom Politikwissenschaftler Philipp Lepenies. In der Kurzversion als Radiofeature bei Deutschlandfunk Kultur.

Die unsichtbare Hälfte: Zahlen über Frauen

In einer digitalisierten und datengetriebenen Welt haben Zahlen einen großen Einfluss  auf unser Leben. Das Problem ist, dass die Datengrundlage in vielen Fällen eine Hälfte der Bevölkerung vergisst, nämlich die Frauen.

Werden bestimmte Dinge nach einer Durchschnittsgröße eingerichtet, ist damit z.B. in fast allen Fällen die männliche Durchschnittsgröße gemeint. Der Mann gilt in vielen Bereichen als der Standardmensch und die Frau als Abweichung davon. Wenn du beispielsweise nicht an das oberste Supermarktregal herankommst oder automatische Türen sich nur mit dem Wedeln deiner Arme öffnen oder Autogurte in deinen Hals schneiden, kann es daran liegen, dass du eine Frau bist. Bei der Konzeption wurde die Durchschnittsfrau einfach ignoriert.

Das Problem ist, dass es für Frauen nicht nur unangenehm und oft umständlich ist, in einer Welt zu leben, die für Männer designt worden ist, sondern sogar tödlich sein kann.

Ein erschreckendes Beispiel dafür ist die Unfallstatistik. Frauen sind weniger in Autounfälle verwickelt als Männer. Trotzdem erleiden sie 17 Prozent mehr unfallbedingte tödliche Verletzungen. Ein Grund dafür ist, dass Frauen gefährlicher sitzen. Da sie oft kleiner als die Durchschnittsmänner sind, sitzen sie höher und weiter vorne, was die Gefahr für Verletzungen der Organe und Beine bei einem starken Aufprall erhöht.

In der EU werden bei jedem zugelassenen Auto mindestens fünf Tests mit Crashtest-Dummies durchgeführt, aber fast ausschließlich mit einem sogenannten “50-Perzentil-Mann”, der 175 cm groß ist, 78 kg wiegt und die Muskelverteilung und den Wirbelsäulenaufbau eines Mannes aufweist. Aus diesem Grund sind Autos für Männer im Durchschnitt sicherer gebaut als für Frauen. 

Weitere gefährliche Beispiele sind Medikamente, die nur an Männer getestet werden und bei Frauen ganz anders wirken. Auch Herzinfarkte werden oft nicht erkannt, weil Frauen andere Symptome aufweisen als Männer. Letztere gelten in der Medizin meistens noch als der menschliche “Standardkörper”.

Die Lösung ist einfach und schwierig zugleich, denn die Ungleichheit ist keine Männerverschwörung, sondern oft eine unterbewusster Diskriminierung. Ein Blinder Fleck, der zu häufig übersehen wird und sich dadurch wiederholt.

Vier Hebel, um die weibliche Perspektive bei der Gestaltung der Welt einzubeziehen:

  1. Erhebung und Einbindung geschlechtssensibler Daten.
  2. Mehr Frauen und weibliche Perspektiven an die entscheidenden Positionen und in Tech- und Entwicklungsfirmen.
  3. Mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Daten, mit denen Algorithmen trainiert werden.
  4. Sensibilisierung zu Bedeutung und Notwendigkeit geschlechtssensibler Daten.

Hauptquelle: Das Buch “Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert” von Caroline Criado- Perez.


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Zugabe: Y Politik-Podcast in Zahlen

Eine fortwährende Diskussion zwischen Vincent und Tanja ist, ob unsere Folgen zu lang sind. Um diese zu beantworten haben wir deshalb unsere Spotify-Zahlen ausgewertet. Hier die drei bisher relevantesten Erkenntnisse:

  1. Die Länge einer Y Politik-Folge hat KEINEN Einfluss auf die Anzahl der Starts einer Folge.
  2. Die Länge einer Y Politik-Folge hat KEINEN Einfluss darauf, ob die Folge für länger als 60 Sekunden angehört wird.
  3. Die Länge einer Y Politik-Folge hat einen Einfluss darauf, ob die Folge zu mindestens drei Vierteln angehört wird: je länger die Folge, desto weniger hören mindestens drei Viertel.

Bedeuten diese Ergebnisse nun, dass wir kürzere Folgen machen sollten? Die Zahlen sprechen dagegen – und dafür. Wie bei allen Zahlen müssen wir also eine Abwägung treffen. Und am besten holen wir uns vorher noch qualitative Rückmeldungen* ein, damit wir uns nicht nur auf Zahlen verlassen müssen. 😉

* Schreibt gerne eure Meinung dazu in die Kommentare oder an podcast@ypolitik.de.

 

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