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Europawahl: Wahlkampf ohne Öffentlichkeit?

April 01, 2019

Hast du schon etwas vom Europawahlkampf mitbekommen? Wir so gut wie gar nicht. Dabei steht in weniger als zwei Monaten die Wahl für das Europaparlament an. Und bei dieser geht es um einiges, denn die Abgeordneten entscheiden u.a. über Handelsverträge mit anderen Großmächten (TTIP), den Schutz unserer Daten gegenüber Großkonzernen (DSGVO), ob ein Land der EU beitreten oder sie verlassen kann (Brexit), über 145 Milliarden Euro im Jahr (EU-Budget) und auch darüber wer Präsident der Europäischen Kommission wird!

Warum beschäftigt sich trotz dieser Machtfülle kaum jemand mit der Europawahl 2019? Es fehlt eine europäische Öffentlichkeit. Wir haben in Folge 27 darum Johannes Hillje zu Gast, der für dieses Problem einen Lösungsvorschlag hat: Die “Plattform Europa”, ein neues digitales Netzwerk, das die EU-BürgerInnen aus 27 verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen Sprachen zusammenbringen soll für europäische Diskussionen und einen “European Way of Life”.

Das Problem der Europawahlen: Ohne Öffentlichkeit kein Wahlkampf

In der letzten Maiwoche entscheidet sich, wer im Parlament der größten Wirtschaftsmacht der Welt das Sagen hat. Ungefähr 400 Millionen Menschen können über ihr Schicksal entscheiden, doch wahrscheinlich wird nicht einmal die Hälfte der EU-Bevölkerung zur Wahl gehen. Die Wahlbeteiligung der letzten Europawahl 2014 zeigt: In Deutschland gehen mit 5 von 10 Wahlberechtigten noch relativ viele zur Wahl, in der Slowakei waren es jedoch nur gut eine 1 Person von 10.


Dieser Artikel bietet nur eine Zusammenfassung. Die vollständigen Argumente hörst du in der Podcast-Folge: hier im Player oder direkt auf Spotify, iTunes, Google Podcast, Deezer und Stitcher.


Johannes Hillje glaubt, dass die fehlende europäische Öffentlichkeit ein Grund für das geringe Interesse an der Wahl ist. Er arbeitet als selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel sowie als Policy Fellow bei Das Progressive Zentrum [hat also mit Vincent auch beruflich zu tun].

Zur letzten Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager für die Europäische Grüne Partei. Er hat sich damals mit anderen dafür eingesetzt, dass ein europäisches TV-Duell der Spitzenkandidaten stattfindet und im Hauptprogramm ausgestrahlt wird. Schlussendlich wollte jedoch jedeR der SpitzenkandidatInnen in der Landessprache diskutieren und daraufhin wurde die Sendung in die Spartenkanäle verbannt (trotz der Kampagne “Europa aus der Sparte!” mit über 27.000 Unterschriften und Unterstützung aus der Europapolitik, die Vincent mitkoordinierte). Die Folge: Nur ungefähr 160.000 ZuschauerInnen haben das TV-Duell damals in Deutschland gesehen. Eine breite europäische Debatte blieb aus – und damit auch die europäischen Öffentlichkeit.

Diese Erfahrung hat Johannes Hillje geprägt und ihn dazu veranlasst, die Berichterstattung und die fehlende europäische Öffentlichkeit genauer zu untersuchen.

Auch 2019 ist die nationale Berichterstattung die dominante Erzählung und die europäische Perspektive hat wieder das Nachsehen. Bei der Europawahl werden immer noch nationale Parteilisten gewählt, wodurch die europäischen Parteien und deren Standpunkte nicht in der Debatte präsent sind. Selbst auf den Wahlplakaten werden wieder bekannte nationale PolitikerInnen abgebildet, die gar nicht auf den Kandidatenlisten der Parteien zur Wahl stehen.

Die Lösung: Eine neue digitale “Plattform Europa”

Bisherige Versuche, eine europäische Öffentlichkeit herzustellen, sind gescheitert. Der europäische Fernsehsender Euronews hat kaum ZuschauerInnen und der alternative Ansatz, die nationale Berichterstattung europäischer zu gestalten, ist gescheitert.

Neue Möglichkeiten böte das Internet, das als digitales Massenmedium wie für Europa geschaffen ist. Es ermöglicht niedrigschwellige Diskussion über sprachliche und geografische Grenzen hinweg. Die bereits bestehenden Plattformen wie Facebook und Twitter sind jedoch privat organisiert, verfolgen also profitorientierte Ziele und schaffen es nicht, die demokratische Debatte zu fördern. Johannes Hillje schlägt daher vor, dass die “Plattform Europa” öffentlich-rechtlich organisiert und zum Gemeinwohl verpflichtet sein muss.

Der #Europawahl fehlt die Öffentlichkeit. Die digitale #PlattformEuropa könnte dies ändern und für einen Demokratie-Schub sorgen. @JHillje stellt die Idee im @ypolitik Podcast vor. #EP2019 Klick um zu Tweeten

Auf der “Plattform Europa” sollen verschiedene Angebote, die man aus dem Netz kennt, vereint und aus einer europäischen Perspektive betrachtet werden. Das erste ist ein News Room: Ein europäisches Nachrichtenangebot, zum Beispiel mit einem dauerhaften Livestream. Als zweites soll Europa in seiner Vielfalt auch kulturell abgebildet werden, u.a. durch die Produktion von eigenen europäische Serien, wodurch ein “European Way of Life” geprägt werden könnte. Drittens kann die Plattform politische Beteiligung auf europäischer Ebene stärken. Zum einen durch einen direkten Dialog zwischen BürgerInnen und PolitikerInnen, aber auch mit einer einfachen Möglichkeit für Petitionen. Viertens sollten auf der Plattform auch Apps für den Alltag angeboten werden, damit Europa für alle greifbar wird. Dafür könnte man sich eine europäische Jobbörse vorstellen.

Cover von "Plattform Europa". Mit der digitalen Plattform zur europäischen Öffentlichkeit?Mehr Hintergründe zur Idee des digitalen Netzwerkes kannst du in der Folge nachhören – oder direkt im Buch nachlesen: “PLATTFORM EUROPA: Warum wir schlecht über die EU reden und wie wir den Nationalismus mit einem neuen digitalen Netzwerk überwinden können” ist im Februar im Dietz-Verlag erschienen für 18 Euro.

 

 

 

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